Sprachlich außergewöhnlich und süchtigmachend war bereits Tahereh Mafis erstes Buch „Ich fürchte mich nicht“. Als Auftaktband einer Reihe fand es bislang aber noch keinen Weg in die Lesetipps. Nun hat die Autorin ihre spannende Trilogie nach zwei Jahren Wartezeit mit dem Abschlussband gekrönt und dabei das Kunststück vollbracht, ein völlig unerwartetes und trotzdem befriedigendes Ende zu finden, das noch genug Fragen offen lässt, um die Phantasie der Leser anzukurbeln (oder auf einen vierten Band zu hoffen). Also kann es jetzt losgehen:

„Ich fürchte mich nicht“ von Tahereh Mafi
Tahereh Mafi: Ich fürchte mich nicht. Roman. Aus dem Amerikanischen von Mara Henke.
Goldmann, München 2012.
Nein, es ist keine sehr schöne neue Welt, in der uns die siebzehnjährige Ich-Erzählerin Juliette begegnet. Das „Reestablishment“ regiert und unterdrückt die Bevölkerung. Die noch bewohnbaren Teile der Welt sind in Sektoren unterteilt, jeder mit einem anderen Machthaber. Juliette wurde weggesperrt, weil ihre Fähigkeiten überaus gefährlich sind: ihre Berührung ist schmerzhaft, schlimmstenfalls sogar tödlich – ungewollt hat sie den Tod eines Kindes verursacht. In ihrer Isolation zählt sie alles, was ihr in den Sinn kommt, um bei Verstand zu bleiben; sie schreibt Tagebuch und streicht dabei viele Gedanken wieder aus. Im Grunde ist sie der Meinung, dass sie dieses Schicksal verdient. Dann bekommt sie einen Zellengenossen: Adam. Juliette kennt ihn von früher, doch erinnert er sich auch an sie? Und wenn ja – ist er gekommen, um sie zu retten, oder nur weil der undurchschaubare Warner, Kommandeur und Regent von Sektor 45, ihn beauftragt hat? Warner zeigt großes Interesse an Juliette und ihren Fähigkeiten, er verwöhnt sie mit gutem Essen und schönen Kleidern und sie fürchtet den Preis, den er dafür verlangen wird. Aber kann eine Flucht aus Warners goldenem Käfig gelingen?

„Rette mich vor dir“ von Tahereh Mafi
Tahereh Mafi: Rette mich vor dir. Roman. Aus dem Amerikanischen von Mara Henke.
Goldmann, München 2013.
Bei den Rebellen von Omega Point hat Juliette Zuflucht gefunden und soll lernen, ihre Kräfte zu kontrollieren, denn dort gibt es viele Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Aber sie ist verunsichert, fühlt sich als Außenseiterin und glaubt, dass die anderen sich vor ihr fürchten. Dann der Schock: ist Adam vielleicht gar nicht immun gegen ihre Berührung? Umso mehr will Juliette um jeden Preis das Geheimnis bewahren, dass auch Warner sie berühren kann – was für ein Pech, dass er ausgerechnet jetzt als Gefangener nach Omega Point gebracht wird! Er hat Juliettes Tagebuch gelesen und glaubt nun der einzige Mensch zu sein, der sie wirklich versteht. Anstatt ihr im Verhör wichtige Infos zu geben, wirft Warner die fassungslose Juliette mit seinem erneuten Liebesgeständnis emotional komplett aus der Bahn. Derweil stattet Warners verhasster Vater, der Oberste Befehlshaber des Reestablishments, Sektor 45 einen unangekündigten Besuch ab und verbreitet dabei Angst und Schrecken, die Rebellen rüsten zum Angriff und Adam macht eine verheerende Entdeckung über seine Familie…

„Ich brenne für dich“ von Tahereh Mafi
Tahereh Mafi: Ich brenne für dich. Roman. Aus dem Amerikanischen von Mara Henke.
Goldmann, München 2014.
Warner hat Juliette das Leben gerettet, aber alle ihre Freunde sind tot, verschollen oder in Gefangenschaft. Sie brennt darauf, die Verbliebenen zu suchen und zu retten – und sich am Obersten Befehlshaber zu rächen. Warner bietet ihr seine Hilfe an. Doch kann sie ihm vertrauen?
Bis zum Ende bleibt die Autorin bei ihrer bildhaften, betörenden Sprache. Die Durchstreichungen im Text, die Gedanken, die Juliette sich selbst verbietet, werden in dem Maße, in dem das Selbstbewusstsein der Ich-Erzählerin zunimmt, immer weniger – als Juliette mit ihren Kräften im Einklang ist, ihren Platz in der Welt erkämpft und den Mann ihres Herzens gefunden hat, sind sie schließlich ganz verschwunden.
Geschickt nutzt Tahereh Mafi die Ich-Perspektive, um die Geschichte konsequent nur aus Juliettes Sicht zu erzählen (die Bücher könnten sogar als Lehrbeispiele für angehende Autoren dienen – so klar werden einem die Grenzen und Möglichkeiten dieser Erzählperspektive selten vor Augen geführt). Kann sich denn der Leser auf Juliettes Urteilsvermögen und ihre Sicht der Dinge verlassen? Tatsächlich irrt die Heldin in einigen Punkten ganz gewaltig, aber eben dies macht den Reiz der Bücher aus: gerade dadurch führt die Geschichte zu einem Ende, mit dem man nach der Lektüre des ersten Bandes nie und nimmer gerechnet hätte. Und mit diesem Wissen im Kopf möchte man die Reihe sofort noch einmal von Anfang an lesen, um Juliettes Welt mit ganz neuen Augen zu entdecken.
Absolut fesselnd, auch beim zweiten Durchgang!
Andrea Sondermann